Best Practice

Wie SIXT den Einkauf transformiert hat


AUTOREN: Wolfgang Rüth und Tim von der Decken

Der Mobilitätsdienstleister SIXT transformiert und digitalisiert seit 2018 seinen zuvor dezentral organisierten Einkauf in eine zentrale Einheit. Die Pandemie hat auch die Transformation ein Stück weit verzögert, weil während der turbulenten Zeiten der Fokus auf Kostenmanagement lag.

Hier konnte der Bereich Corporate Procurement bemerkenswerte Einsparungen erzielen und so einen erheblichen Beitrag zum Krisenmanagement leisten. Im Interview spricht Marcel Fritsch, Vice President für die globale Einkaufsorganisation, über die größten Hürden der Transformation, wie sein Team und er diese bewältigt haben und für welche kommenden Herausforderungen er sich vorbereitet.

Sie haben 2018 den Auftrag bekommen, den Bereich Corporate Procurement zu professionalisieren. Wie war der Einkauf bei SIXT seinerzeit aufgestellt?

SIXT hatte für die Fahrzeugbeschaffung schon lange ein professionelles Einkaufsteam. Das sind Spezialisten, die mit VW, Audi, BMW und Co., also den OEMs, verhandeln. Alle anderen Bedarfe, wie der Transport der Fahrzeuge vom Werk zu unseren Stationen, IT, Marketing, Kommunikation, Bau und Versicherungen gehören bei SIXT zum Corporate Procurement. Die verantwortliche Abteilung war damals sehr klein und die Beschaffungsstrukturen nur rudimentär vorhanden.

Warum ist Corporate Procurement in den Fokus gerückt? Was sollte sich ändern?

Wir haben 2018 begonnen, die Ist-Situation der Beschaffungsprozesse zu analysieren, um diese für die nächsten Jahre zu professionalisieren und entsprechende Strukturen zu implementieren. Natürlich auch mit dem Ziel, einen signifikanten Wertbeitrag für SIXT zu generieren. Der zentrale Einkaufsbereich bestand damals aus einem sehr kleinen Team, welches im Wesentlichen auf Deutschland fokussiert war. Die wenigen Mitarbeiter waren Generalisten, die von technischen Themen, Ausschreibungen, Verhandlungen bis hin zum Aufsetzen von Verträgen eine sehr große Bandbreite abdecken mussten. Unser Ziel war es, durch Bündelung der Einkaufsaktivitäten und Spezialisierungen zusätzliche Einsparungen zu erzielen.

Bis dahin haben die Fachabteilungen ihre Bedarfe selbst abgewickelt?

Unsere Unternehmenskultur ist von wenig Bürokratie geprägt. SIXT sieht die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen immer auch als „Unternehmer im Unternehmen“. Sie dürfen eigene Entscheidungen treffen und Verantwortung dafür übernehmen. Das galt auch für Beschaffungen. Natürlich gab es auch schon die letzten 100 Jahre Einkaufsaktivitäten bei SIXT, nur eben sehr dezentral. Viele Bereiche haben ihre Bedarfe auch gut selbstständig gedeckt. Nur weil der Einkauf dezentral war, heißt es nicht, dass schlechte Ergebnisse erzielt worden sind. Aber wir hatten nahezu eine 100 Prozent Maverick Buying Quote und die Einkaufsfunktion spielte strategisch keine große Rolle. Diese strategische Bedeutung entwickelte sich erst langsam ab 2018.

Zeitgleich rückte das Thema Digitalisierung in unseren Fokus: Durch die dezentrale Struktur war auch die IT-Landschaft sehr heterogen, mit vielen kleineren Insellösungen: Es gab mindestens eine Plattform für die Bestellabwicklung, ein Tool für Ausschreibungen, eines für Verträge, eines für die Rechnungsverarbeitung. Dadurch fehlte SIXT ein professionelles Einkaufscontrolling. Wer kauft was bei wem? Wer sind meine Top-Supplier? Diese Fragen waren weder schnell noch einfach zu beantworten.

Also war die fehlende Transparenz ein Problem?

Transparenz zu schaffen war schwierig. Die zu betreuenden Ausgaben lagen bei rund 800 Millionen Euro. Die Hälfte davon waren sehr stark mit dem Fahrzeugeinkauf verwandt und beinhaltete beispielsweise Reparaturen der Fahrzeuge oder Versicherungen. Die andere Hälfte bezog sich auf klassische indirekte Ausgaben: IT, Marketing, Beratung, Reisen, Kommunikation, Büroartikel und Bau. Durch die fehlende Zentralisierung hatten wir zu viele Lieferanten für gleiche Warengruppen, wenige Preferred Supplier und wenig Bündelungsmöglichkeiten. Man kann sicher diskutieren, ob eine zentrale, dezentrale oder hybride Organisation besser ist. Aber ein Nachteil von Dezentralität ist, dass keine Synergien gehoben werden können – und das wollten wir ändern.

Efficio hat den Prozess mit einer Potenzialanalyse unterstützt. Warum ist der externe Blick von außen hilfreich in dieser Situation?

Wir hatten eine Roadmap definiert, wie wir vom Ist-Zustand zum Zielbild kommen. Wir wollten die externe Expertise einholen, um diese Umsetzungsplanung zu verifizieren und unsere Potenziale zu analysieren. Denn es war von unserer Seite zunächst nur eine Hypothese, dass wir Kosten sparen würden, wenn wir den Einkauf effizienter und besser managen. Deshalb wollten wir eine Potenzialanalyse von unabhängigen Experten mit umfassenden Einkaufserfahrungen, die unsere Situation von außen bewerten. Am Ende hatten wir eine große Bandbreite an potenziellen Verbesserungsmaßnahmen identifiziert und bestätigt bekommen, woran wir strategisch und nach welcher Priorität arbeiten können.

Wie hat SIXT dieses Wissen genutzt?

Wir haben die Potenzialanalyse und deren nachträgliche Umsetzung nicht vollständig an den Markt gegeben, sondern nur einen Teil. Wir wollten nicht ausschließlich externe Expertise nutzen, da es mir sehr wichtig war, uns als Einkaufsorganisation breiter aufzustellen und internes Wissen aufzubauen.

Daher haben wir zeitgleich auch eigene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingestellt und ausgebildet. Aber ich erziele natürlich schneller Erfolge, wenn ich parallel dazu noch erfahrene Spezialisten aus der Beratung an meiner Seite habe. Daher hatten wir zu Beginn der Umsetzungen auch auf externe Unterstützung zurückgegriffen, um die ersten Quick-Wins zu realisieren.

Daher hatten wir zu Beginn der Umsetzungen auch auf externe Unterstützung zurückgegriffen, um die ersten Quick-Wins zu realisieren.

Was waren Ihre Kernziele der Transformation?

Wir haben uns auf die drei Dimensionen Technologie, Wertbeitrag und Mitarbeiter fokussiert. Im Wesentlichen ging es bei der Strategieentwicklung um die Fragen:

  • Woran messe ich eigentlich, wohin ich will?
  • Was kann ich positiv – im Sinne von Einsparungen, Kostenvermeidung, und Risikominimierung – zum Unternehmenserfolg beitragen?
  • Welche Mitarbeiter brauche ich künftig für das Team mit welchen Qualifikationen?

Eine Ihrer ersten Maßnahmen war die Einführung einer neuen IT-Plattform.

Unsere IT-Landschaft war viel zu fragmentiert. Sie beruhte auf vielen Insellösungen, die kaum miteinander integriert und zu wenig internationalisiert waren. Wir hatten in Deutschland eine andere Software als in Frankreich und den USA. Dafür wollten wir eine einheitliche Lösung, die zudem unsere verschiedenen Stakeholder zufriedenstellt. Das sind Einkäufer, die das Tool täglich nutzen, aber auch Mitarbeiter, die es nur alle paar Wochen bedienen. Dazu noch das Management, das Transparenz und Reportings benötigt oder Freigaben erteilt. Diese verschiedenen Ansprüche haben wir zusammengebracht und uns für Coupa entschieden.

Was waren die größten Hürden bei der Einführung?

Die große Herausforderung war, dass wir mehrere Entwicklungen gleichzeitig angegangen sind. Wir mussten einen IT-Flickenteppich durch eine einzige Software ersetzen. Diese mussten wir auf alle Länder gleichermaßen und standardisiert ausrollen. Aber bis 2018 hatten wir wenige Standardprozesse als Leitplanken. Wir sind also das Thema Transformation direkt im Zusammenspiel mit der Digitalisierung angegangen.

Wir haben uns gefragt: Wie möchte ich künftig eine Ausschreibung aufsetzen? Wie möchte ich, dass jemand einen Standardartikel bestellt? Wie könnte ein digitaler und automatisierter Rechnungsempfang aussehen? Das waren Fragen, die wir zum Teil zum ersten Mal diskutiert haben. Daher war die Einführung einer zentralen Einkaufsplattform für den Source-to-Contract sowie den Purchase-to-Pay Prozess ein wichtiger Baustein in der Transformation.

Sie wurden von der Einkaufscommunity sehr gelobt, weil Sie die Einführung der neuen IT-Plattform in kürzester Zeit „ans Laufen“ gebracht haben. Was war das Geheimnis des Erfolgs?

Das Lob kann ich nur für die erste Phase des Projekts annehmen. Erste Phase heißt, ich bilde meine Prozesse und meine fachliche Verantwortung digital ab. Das haben wir durch externe Unterstützung, eine vernünftige Projektmanagement-Organisation, viel Kommunikation und Change-Management sowie durch eine interne Priorisierung in relativ kurzer Zeit gut hinbekommen. Das war das Geheimnis.

Was heißt relativ kurze Zeit?

Wir waren ab Projektbeginn innerhalb von einem Jahr in allen Ländern mit dem System „live“. In einigen Ländern sogar schneller. In diesem Jahr haben wir die sehr vielen kleinen Lösungen durch eine Software für alle Prozesse in allen Ländern ersetzt. Damit standen die Hülle und ein erster Inhalt.

Danach kam die eigentlich spannende zweite Phase: Wie schaffe ich es, dass alle Ausgaben über das System laufen? Wie schaffe ich eine hohe User-Adaption? Wie schaffe ich es, die Durchlaufzeiten für eine Ausschreibung oder Bestellung zu optimieren? Wie schaffe ich es, dass ich die Anzahl meiner Papierrechnungen minimiere und der Großteil digital abläuft? Das waren die Themen, an denen wir zum Teil auch heute noch arbeiten.

Wie haben Sie die einzelnen Fachabteilungen von Anfang an mit einbezogen?

Das war schon eine große Neuerung für die vielen sehr spezialisierten Bereiche, die zuvor Lieferanten selbst ausgesucht und Verträge selbstständig kommerziell gestaltet hatten. Hinzu kam, dass wir auch noch Coupa im Gepäck hatten. Wir wollten also nicht nur künftig mit den Abteilungen gemeinsam die Ausschreibungen aufsetzen, Fristen aushandeln usw., sondern das Ganze auch noch digital mit einem neuen System umsetzen. Das waren ohne Frage große Umstellungen.

Wir haben stets versucht, die Themen sehr offen und sehr transparent zu besprechen und haben uns viel Zeit für die Kommunikation genommen, um die Kollegen und Kolleginnen mit auf unsere Transformationsreise zu nehmen. Auch haben wir versucht, mit den unmittelbaren und langfristigen Mehrwerten zu überzeugen

Wie kann man sich das vorstellen?

Ein Beispiel: Wir wollten kein Maverick Buying mehr. Mit einem Fachbereich, der diese Neuerung jedoch nicht sofort einhalten wollte, sind wir in den Dialog gegangen, anstatt zu maßregeln. So haben wir gemeinsam ein Pilotprojekt umgesetzt, um den Mehrwert, zum Beispiel in Form von automatisierter Rechnungsverarbeitung („Zero-Touch-Invoice Quota“), aufzuzeigen. Dadurch hat sich automatisch die Akzeptanz erhöht.

Wir haben beim Onboarding immer versucht, eine Mischung aus Fachbereichen zu finden, die uns gegenüber schon aufgeschlossen waren, also Fürsprechern, und den Skeptikern, die es auch immer gibt. Wir haben uns immer beides parallel vorgenommen. So haben wir Stück für Stück die einzelnen Business Units, Länder und Warengruppen für unsere Themen abgeholt.

Heute messen wir System- und Prozesscompliance pro Land und pro Fachbereich und können ambitionierte Zielwerte mit Best Practice-Beispielen definieren. So gehen wir sehr zielgerichtet auf die Fachbereiche und Länder zu, wenn wir beispielsweise beim Thema Maverick Buying noch Handlungsbedarf sehen.

Wo konnten Sie die größten Einsparpotenziale ausmachen?

Eine zentrale IT-Plattform für den Einkauf ist der Möglichmacher für die Ausgabenerfassung und das Spendmanagement. Das ist aber nur der erste Schritt. Wir haben Daten, Verträge, Bestellverhalten und Rechnungsinformationen als Basis genommen und verschiedene Warengruppen- Strategien entwickelt. Diese gehen wir derzeit sukzessive an, um die Früchte zu ernten.

Nachhaltige Einsparungen lassen sich aber nur erzielen, wenn die vorgegebenen Strukturen auch genutzt werden. Man muss sicherstellen, dass die Mitarbeiter auf das relevante Know-how zugreifen können, damit die Adaptionen des Tools in der Breite erfolgt. Das braucht Zeit und auch Pflege. Ein gutes Tool ist kein Selbstläufer, man muss es vielmehr hegen und pflegen.

„Hegen und pflegen“ kann man nicht automatisieren. Das ist eine sehr menschliche Geschichte.

Genau. Sie kaufen eine Lösung, aber diese muss mit den Menschen besprochen und deren persönliche Anforderungen berücksichtigt werden. Sie brauchen einen Manager, der die Prozesse dauerhaft in den Bereichen verankert, denn die Umsetzung ist nie statisch. Bei uns ändern sich Freigabezyklen, Durchlaufzeiten und Warengruppen stetig. Zum Beispiel haben wir in der Anfangsphase der Pandemie bewusst sehr strenge Freigabezyklen im System hinterlegt, um die Hürden für Ausgaben möglichst hoch zu hängen. Jetzt, wo wir wieder in eine Wachstumsphase hineingleiten und die Bedarfe kaum gedeckt bekommen, müssen die Hürden für Beschaffungsvorgänge wieder möglichst gering sein, damit schnell agiert werden kann.

Mitten im Transformationsprozess hat Corona die Welt auf den Kopf gestellt. Hat die Pandemie auch Ihre Pläne durchkreuzt?

Ich hätte gerne noch ein wenig mehr Zeit gehabt, um entsprechende Voraussetzungen für wirtschaftliche Krisenzeiten zu schaffen und Strukturen zu festigen. Im März 2020 hatten wir glücklicherweise schon unsere Bereichsstrategie und wussten, wo wir hinwollten. Wir hatten auch unsere neue IT-Plattform bereits initial aufgesetzt. Aber natürlich kam die Pandemie ungünstig. Das System war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollumfassend im Unternehmensalltag verankert.

Wie hat die Pandemie den Transformationsprozess verändert?

Mit dem Ausbruch der Pandemie gab es für uns – das ist auch ganz normal – keinen Dreijahresplan mehr. Stattdessen haben wir komplett auf die Bremse gedrückt und den Fokus auf kurzfristiges Kostenmanagement gelegt. Da wir als Einkaufsorganisation aber schon die ersten Mehrwerte generiert hatten, konnten wir uns zu einem elementaren Partner für die Fachbereiche und für das Management etablieren.

Dank des neu eingeführten Einkaufssystems konnte Corporate Procurement ein striktes Kostenmanagement betreiben, Ausgaben optimieren und proaktiv Verträge anpassen. Dieser Beitrag des Einkaufs wurde auch innerhalb des Unternehmens entsprechend positiv aufgenommen und hilft uns heute noch. Man möchte eine solche Pandemie mit all den sozialen wie gesellschaftlichen Auswirkungen nie erleben. Aber für den Einkauf gesprochen, hat Corona uns zumindest in der Transformation nicht behindert.

Wie haben Sie konkret zum Krisenmanagement beigetragen? SIXT hat als Autovermieter sehr gelitten unter dem weltweiten Lockdown.

Die Pandemie hat uns als Mobilitäts- und Reiseunternehmen brutal getroffen. Aber SIXT hat sehr schnell und sehr unternehmerisch reagiert. Ein Schwerpunkt neben der Sicherheit unserer eigenen Mitarbeiter und Kunden war, dass wir bestehende Produkte angepasst und neue Produkte an den Markt gebracht haben. SIXT hat beispielsweise mit „SIXT+“ ein Abomodell für Mietwagen angeboten, welches gut angenommen wurde.

Ein weiteres Thema waren die Kosten. Für diese Säule war Corporate Procurement ein maßgeblicher Player. Zum einen hatten wir die Transparenz. Wir wussten, was ausgegeben wurde. Wir wussten, welche Verträge es gibt, wir kannten die Laufzeiten und die Budgets. Dabei hat unser neues IT-System ungemein geholfen. Wir konnten auch die bisherigen Prozesse wie etwa Freigabezyklen sehr schnell anpassen und adaptieren.

Dadurch hatte SIXT ganz andere Möglichkeiten als vor der Transformation, Kosten zu reduzieren. Und wir hatten schon ein dediziertes Einkaufsteam aufgestellt. Diese erfahrenen Einkäufer und Einkäuferinnen konnten kurzfristig mit den Partnern adäquate Lösungen suchen. Zusammengefasst war es unser Glück, dass wir Transparenz über die Ausgaben, die Möglichkeit diese zu steuern und die dafür notwendigen Experten im Team hatten.

Die Pandemie hat also die Stellung des Einkaufs innerhalb des Hauses verbessert?

Auf jeden Fall. Wir waren immer der Auffassung, dass wir eher über den Mehrwert punkten wollen und weniger über Zwang und „Du musst das machen“. Und dieser Mehrwert-Aspekt hat sich in der Corona-Phase bezahlt gemacht.

Darüber hinaus wachsen wir als Unternehmen überproportional stark innerhalb der Branche und als Corporate Procurement können wir dieses Wachstum durch unsere strukturierten Ausschreibungsprozesse, Lieferantenentwicklungen und Vergaben aktiv mitgestalten.

Was sind Ihre Lessons Learned zur Digitalisierung?

Es gibt gute bis sehr gute Standardlösungen am Markt. Die Dienstleister haben auch andere Kunden und bekommen Feedback, was wiederum uns zur Verfügung gestellt wird. Das ändert aber nichts daran, dass man diese Standardlösungen für sich konfigurieren muss. Man muss schon in der Designphase weitreichende Entscheidungen treffen. Außerdem nimmt einem niemand das Change-Management und den Rollout ab. Beides braucht viel Aufmerksamkeit, Kapazität und vor allem auch Priorisierung. Da wir gesehen haben, dass die Toollandschaft ein Enabler für die Einkaufstransformation ist, haben wir das entsprechend priorisiert und die Kapazitäten bereitgestellt.

Ein weiteres Learning war das Thema Datenmanagement. Hier sind wir zunächst ohne konkretes Zielbild gestartet. Wir wissen natürlich alle, dass Daten wichtig sind. Aber man muss wirklich früh überlegen, wie diese strukturiert abgefragt und abgelegt werden. Und ob dies von jedem Mitarbeiter individuell oder von einem speziellen Team verantwortet werden soll. Solche Fragen muss man frühzeitig beantworten, ansonsten ist man immer ad-hoc getrieben. Diese Erkenntnis hat uns viel Zeit gekostet, die wir gerne anderweitig eingesetzt hätten Wachstum durch unsere strukturierten Ausschreibungsprozesse, Lieferantenentwicklungen und Vergaben aktiv mitgestalten.

Mit der Transformation ist auch Ihr Team stark gewachsen. Inwiefern haben sich die Anforderungen an die Mitarbeiter geändert?

Die Anforderungen an den Einkäufer von heute – und das wird für die Zukunft eher zunehmen – sind relativ hoch. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen nicht nur eine gute Ausbildung, einen methodischen Werkzeugkasten und Erfahrungen mitbringen. Sie müssen auch noch Warengruppen oder Branchenspezifika beherrschen und die Lieferantenstruktur am Markt kennen, um den Fachbereichen einen Mehrwert zu liefern. Sie sollten international aufgestellt sein, was Sprache und Kulturverständnis angeht. Und sie müssen flexibel sein, wenn es um Themen wie Change-Management und Transformationen geht. Analytisches Verständnis ist ebenfalls wichtig. Das war eine unserer Lessons Learned, dass wir nicht ein klassisches Standardprofil am Markt suchen. Der Markt an qualifizierten Talenten ist umkämpft. In der Folge war auch unser Wachstum davon abhängig, wie schnell wir unsere Vakanzen besetzen konnten.

Wird die Rolle des Einkäufers mit der Digitalisierung auch attraktiver? Verbessert sich die Stellung des Einkaufs im „War of Talents“?

Das ist schon so. Es gibt wenige Bereiche, die so viele Schnittstellen haben wie der Einkauf. Hier können Sie mit Daten, aber auch mit Menschen agieren. Das ist eine sehr umfangreiche und abwechslungsreiche Rolle. Zudem führt der Einkäufer nicht nur aus, sondern kann aktiv die Zukunft mitgestalten. Im Einkauf kann man sehr viele Themen für die Zukunft des Unternehmens und unserer Gesellschaft mit beeinflussen. Dazu kommen spannende Karrierechancen in verschiedenen Warengruppen wie IT oder Marketing, in verschiedenen Rollen als taktischer Einkäufer oder Führungskraft einer unserer internationalen Einkaufsteams und das alles in einem wachsenden Unternehmen mit einer modernen Kultur. SIXT als Unternehmen und die Branche als Gesamtes ändern sich wesentlich im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Elektromobilität, autonomes Fahren usw.

Im Januar 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland in Kraft. Außerdem spielt Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Wie bereiten Sie sich als Autovermieter auf diese Themen vor?

Wir haben im Einklang mit der Unternehmensstrategie eine nachhaltige Beschaffungsstrategie mit einem konkreten Maßnahmenplan erarbeitet. Da sind die rechtlichen Rahmenbedingungen wie das Lieferkettengesetz ein wichtiger Baustein. Wir wollen aber bewusst über diese gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Ein Beispiel: So werden wir bei zukünftigen Vergaben auch Nachhaltigkeits-KPIs einfließen lassen. Das ist etwas, was nicht explizit im Lieferkettengesetz gefordert wird, wir aber umsetzen möchten. Diese Nachhaltigkeits-Strategie mit konkreten Maßnahmen zum Leben zu erwecken, ist ein wichtiges Projekt für die nächsten Jahre.

Letztendlich ist das Thema Nachhaltigkeit relevant für alle unsere Stakeholder-Gruppen, für den Finanzmarkt, für unsere Kunden, für unsere Lieferanten, für den Gesetzgeber, für unsere eigenen Mitarbeiter.

Ist Nachhaltigkeit als Mobilitätskonzern eine besondere Herausforderung?

Ja, weil wir auf der einen Seite viel bewegen können, um nachhaltiges Wirtschaften zu unterstützen. Auf der anderen Seite – das ist das etwas Widersprüchliche – sind wir vom Gesetzgeber und anderen Entwicklungen abhängig. Beispielsweise werden wir in den nächsten Jahren selbst umfangreich in Elektroladeinfrastruktur investieren. SIXT wartet hier nicht nur auf den öffentlichen Ausbau, sondern handelt eigenständig und proaktiv. Aber natürlich sind wir hier auch von den Entwicklungen des Marktes abhängig.

Wenn wir den Anteil der Elektrofahrzeuge, die einen wesentlichen Einfluss auf die CO₂- Emissionen unserer Firma und den ökologischen Fußabdruck haben, signifikant nach oben treiben wollen, brauchen wir auch entsprechende Fahrzeuge von den Herstellern. Unsere OEM Partner geben hier die Geschwindigkeit mit vor. Die eigenen Ambitionen und Entscheidungen sind wichtig und richtig, aber wir hängen auch von Gesetzgebung und OEMs ab.

Was sind darüber hinaus Ihre nächsten Themen?

Zum einen haben wir noch Aufholbedarf bei der Internationalisierung. Wir wollen die Themen, die wir in den letzten vier Jahren schon erfolgreich in Deutschland umgesetzt haben, auch in jedem Land nachhaltig implementieren. Dazu zählen beispielsweise Einsparungen durch die Reduzierung von Maverick Buying. Hier sind die Quoten in Deutschland am besten. Diese Quoten wollen wir auch in anderen Landesmärkten erreichen.

Zum anderen wollen wir Corporate Procurement als kommerziellen Business Partner für unsere Fachbereiche, unser Management und unsere Entscheider weiter ausbauen, indem wir unsere Daten besser nutzbar machen. Dazu müssen wir nahe an den Stakeholdern sein. Wir müssen wissen, was sie umtreibt, ihre Sprache sprechen und den Lieferantenmarkt kennen, um einen wirklichen Mehrwert zu liefern. Damit das gelingt, braucht es neben einigen strukturellen Themen und Prozessen die entsprechenden Experten. Das führt uns zum Thema Mitarbeiter. Mitarbeiterentwicklung haben wir mit Förderprogrammen und Weiterbildungsmaßnahmen als weiteren wesentlichen Schwerpunkt auf unserer Agenda.

Und natürlich wollen wir auch das „Brot- und Buttergeschäft“ weiter optimieren. Wo möglich, sollen Transaktionen automatisiert und standardisiert werden. Damit wir für die Themen, die besondere Expertise, Gespräche, Daten und Marktanalysen brauchen, genug Zeit haben.

Auf welche Erfolge können Sie nach vier Jahren zurückblicken?

  • Steigerung des Spend under Management um jährlich > 50 Mio. € p.a. mit stark steigendem Trend
  • Maverick Buying Quota von ca. 100 % in 2018 reduziert auf < 5 % p.a. heute
  • Digitalisierung: Steigerung der Anzahl der Purchase Orders um mind. 50 % p.a. jeweils über die letzten 4 Jahre; Steigerung der „Zero-Touch-Invoice-Quota“ um > 10 % p.a.; Verbesserung der Durchlaufzeiten unserer Bestellprozesse, z.B. aufgrund von ca. 80 % Kataloganteil aller Bestellungen
  • Nachhaltiger Aufbau des Einkaufsteams von ca. 5 Personen 2018 in Deutschland auf ca. 30 Personen international 2022
  • 100 % aller weltweiten Budgets (außer Personal/Gehälter) durch Involvierung/Freigabe von Corporate Procurement

 

 

Marcel Fritsch ist seit 2018 verantwortlich für den Bereich Corporate Procurement bei der Sixt SE. Er leitet als Vice President die globale Einkaufsorganisation (Indirect Spend) mit den Schwerpunkten Category Management, Procurement Transformation und -Digitalisierung, Kostenoptimierungsprojekte, Data Analytics und nachhaltige Beschaffung. Außerdem ist er zuständig für weitere Finanzfunktionen im Global Business Services Geschäftsbereich (u.a. Rechnungsverarbeitung, Travel Management, Payroll).

Vor seiner Tätigkeit bei SIXT war Marcel Fritsch Unternehmensberater im Bereich Digital Finance/ Finance Advisory bei KPMG.